Ihre Leute sollen unternehmerisch denken und handeln?
Dann lassen Sie sie doch…

Pyramidenartig aufgebaute Organisationen und eine Management-Kultur von Command & Control verhindern unternehmerisches Handeln. Selbststeuernde Unternehmen brechen die Verantwortung transparent auf jede einzelne Rolle herunter. Entscheidungen werden eigenverantwortlich von denen getroffen, die sich am besten damit auskennen. Koordinierende Prozesse sorgen dafür, dass dabei die relevanten Perspektiven integriert werden – ganz ohne klassisches Management

Wenn ich mit Repräsentanten von Unternehmen über organisatorische Herausforderungen spreche, finden sich in Ihren Aussagen auffällig häufig Ähnlichkeiten: Von Geschäftsführungsseite nimmt die Klage über mangelndes unternehmerisches Denken und Handeln der eigenen Belegschaft die unangefochtene Spitzenposition ein; darunter subsumiert Themen wie Qualitätsprobleme, Mangel an Einsatz und fehlende Initiative. Die andere Seite fühlt sich vorwiegend gequält von ausufernder Bürokratie, realitätsfernen Management-Entscheidungen und der Überzeugung, im Unternehmen sowieso nichts bewegen zu können.

Wir können reinen Gewissens unterstellen, dass niemand im Unternehmen ein ernsthaftes Interesse daran hat, sich das Leben unnötig schwer zu machen. Wie aber schaffen wir es dann trotzdem, diese Symptomatiken immer wieder gemeinsam zu erzeugen?

Es liegt nahe, dass es etwas mit der Art und Weise zu tun haben muss, wie wir unsere Zusammenarbeit organisieren; also mit der Unternehmensstruktur und dem dazugehörigen Regelsystem (z.B. wie werden Entscheidungen getroffen; wie fließen Informationen usw.). Die Struktur der allermeisten Unternehmen entspricht heutzutage mehr oder weniger der folgenden:

                                       Pyramide

Die Pyramiden-Struktur ist für viele völlig selbstverständlich, und sie ziehen gar nicht mehr in Erwägung, dass es nur eine von mehreren sozialen Architekturen ist. Sie ist schon etwas über hundert Jahre alt und resultiert aus den Arbeiten von Frederic Taylor. Er trennte in seinem als Scientific Management bekannt gewordenen Ansatz zwischen Denkenden (oben) und Ausführenden (unten).

In kurzen Worten beschrieben:

  • Wenige Denkende (oben) sagen vielen Ausführenden (unten),
    was zu tun ist und kontrollieren die Umsetzung
  • Oben viel Verantwortung – Unten wenig Verantwortung
  • Oben viel Entscheidungskompetenz – Unten wenig oder gar keine Entscheidungskompetenz

Wenngleich schon damals umstritten, führte Taylors Modell zu außerordentlichen Effizienzsteigerungen und war ein wichtiger Meilenstein in der produktionstechnischen Entwicklung. Allerdings war es ausgerichtet auf industrielle Fertigungsprozesse. Die detailliert zerlegten Arbeitsaufgaben waren für die Arbeiter hinreichend einfach auszuführen und änderten sich nur selten. Command & Control als Management Instrument passte in das mechanistische Denken der damaligen Zeit. Die passende Unternehmensmetapher dazu: Das Unternehmen als Maschine.


Gehirn schafft mehr Wertschöpfung als Muskelkraft

Heute ist unsere Arbeitswelt jedoch eine völlig andere. Der US-amerikanische Managementvisionär Peter Drucker sah dies bereits Ende der 50er Jahre voraus und prägte schon damals den Begriff des Wissensarbeiters. Er war der Überzeugung, dass Wissen für die Wertschöpfung weitaus relevanter werden würde, als Muskelkraft. Mittlerweile geradezu eine Binsenweisheit.

Wir bewegen uns in einer hochbeschleunigten Gesellschaft mit sich ständig ändernden Umfeldern und Anforderungen an Unternehmen. Was gestern State-of-the-Art war, gehört heute schon ins Museum (Blackberry, Nokia, Kodak u.a. erfuhren das schmerzlich). Um diese Komplexität zu managen, sind die meisten Unternehmen heute auf das Wissen, die Kreativität und die sozialen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese mehr über ihre Arbeit wissen müssen, als ihre Führungskräfte. Z.B. kennt eine Vertriebsmitarbeiterin ihr Produktportfolio besser, als ihr Chef, weiß genauer darüber Bescheid, was ihren Kunden wichtig ist und kann glaubwürdigere Aussagen darüber treffen, ob der im Unternehmen praktizierte Vertriebsprozess verbessert werden sollte oder nicht. Entscheidungen darüber werden aber in pyramidenartigen Organisationen von denjenigen getroffen, die nicht über das nötige Wissen verfügen und das auch gar nicht können – den Führungskräften. Um diese Wissenslücke zumindest zu verkleinern, verschwendet die Organisation einen erheblichen Teil ihrer Ressourcen mit Briefings, Meetings und dem Erstellen von Entscheidungsvorlagen.

Sogenannte kleine Dienstwege, Flurgespräche und Workarounds sind daher nicht etwa Sabotageakte, sondern zarte Versuche der Selbststeuerung, um das Unternehmen am Laufen zu halten. Und all das nur, weil wir versuchen, die Anforderungen des 21. Jahrhunderts mit einer völlig veralteten sozialen Architektur zu bewältigen.


Das Unternehmen als Ökosystem

Wissensarbeiter benötigen Autonomie um wirken zu können. Zwängt man sie nicht in ein frustrierendes Command & Control-Korsett sondern lässt sie gestalten, sind sie in der Regel von sich aus motiviert. Wir brauchen also einen Rahmen, in dem sich die Menschen im Unternehmen nach Kräften einbringen und abgestimmt aufeinander im Sinne des Daseinszwecks des Unternehmens agieren können. Im Gegensatz zum Unternehmen als Maschine ist hier die passende Metapher das Unternehmen als Ökosystem. Es gibt im Wald keinen Chefbaum, der den anderen Bäumen sagt, wann sie im Frühling die Knospen wachsen lassen sollen. Das „weiß“ jeder Baum für sich am besten. Und bald danach steht der Wald in schönster Blüte.

Aber passt diese Metapher? Muss in Unternehmen nicht trotzdem jemand den Hut auf haben? Wer entscheidet im Zweifelsfalle? Und wie stellen wir sicher, dass die Leute auch immer im Sinne des Unternehmens handeln? Brauchen wir nicht gerade deswegen Management, damit kein Chaos ausbricht? Berechtigte Fragen, denn es ist nicht sofort einsichtig, wie das alles ohne Management gelingen kann.

Die folgenden Prinzipien geben eine Orientierung, wie Selbststeuerung in Unternehmen funktioniert:

Leadership überall
Die Verantwortlichkeiten im Unternehmen sind auf alle Rollen verteilt. Leadership liegt in jeder einzelnen Rolle oder gebündelt in mehreren (funktional zusammenhängenden) Rollen.

Ausrichtung auf den Unternehmenszweck
Eine Rolle ist nur eine Rolle, wenn sie einen Zweck hat, der wiederum auf den Unternehmenszweck einzahlt. Mehr dazu hier

Volle Entscheidungskompetenz
Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter entscheidet alleinverantwortlich, wie sie oder er die Rolle mit Leben füllt. Verantwortlichkeiten, Zweck und die aktuelle Unternehmensstrategie bilden dafür die Leitplanken.

Transparenz
Jede Rolle mit all ihren Verantwortlichkeiten ist transparent für alle einsehbar. So weiß jeder im Unternehmen, was er von wem erwarten darf und wer worüber entscheidet.

Koordination über Steuerungsprozess
Müssen Verantwortlichkeiten geklärt, geändert oder hinzugefügt werden, so geschieht das im Rahmen eines regelmäßig stattfindenden Steuerungsmeetings. Das Anliegen wird eingebracht und ein Lösungsvorschlag entwickelt. Für die Annahme des Vorschlags genügt es, wenn kein objektiver Einwand dagegen vorgebracht wird (Dafür müsste der Einwender glaubhaft darlegen dass dem Unternehmen durch den Vorschlag schaden zugefügt oder es von seinem Zweck abgelenkt würde). Eine Mehrheit oder sogar ein Konsens ist nicht nötig. Mehr dazu siehe unter Effektive Meetings


Was aus Selbststeuerung erwächst

Das sind jedoch lediglich die organisatorischen Voraussetzungen – das Betriebssystem für Selbststeuerung. Unternehmen, die bereits seit so arbeiten, profitieren in vielfältiger Weise davon. Ein paar Beispiele aus der Praxis:

  • Die meisten Unternehmen fördern das proaktive Kreieren neuer wertschöpfender Rollen. Beispielsweise schaffte ein Mitarbeiter in einem Fertigungsunternehmen mit zwölf parallel arbeitenden Teams eine Rolle, die Best Practices der einzelnen Teams sammelt und für alle anderen Teams zur Verfügung stellt. Lernenden Organisation – ganz einfach.
  • Viele Organisationen haben einen selbstgesteuerten Einstellungsprozess entwickelt, in dem wesentlich zuverlässiger herausgefunden werden kann, ob und wie man zueinander passt. Auch eine faire Kündigung von Mitarbeitern, so sie dann wirklich nötig ist, wird schon oft selbst organisiert gestaltet.
  • Innovation ist ein natürlicher Prozess. Man probiert, verwirft wieder, optimiert und rollt es ggf. über das ganze Unternehmen aus. Es liegt in uns Menschen drin, etwas besser machen zu wollen. Wenn der Raum dafür da ist, geschieht es von allein. Unternehmen, die nur eine zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung haben, rennen einer solchen Innovationskultur hoffnungslos hinterher. Mehr
  • Man mag es nicht glauben, aber auch die selbstgesteuerte Regelung von Gehältern ist in diesem Bereich ein stark wachsender Trend. Unternehmen mit einschlägigen Erfahrungen berichten von unerwartet geringen Steigerungen, bei praktisch 100%-iger Zufriedenheit mit der eigenen Entlohnung.

Das sind nur einige inhaltliche Anwendungen, die wir beobachten, so bald ein Unternehmen auf Selbststeuerung umgestellt hat. Das dafür notwendige organisatorische Betriebssystem ist oben in Teilen beschrieben und beruht auf dem Holacracy®-Ansatz, einer vielfach bewährten und in langen Jahren immer weiter entwickelten sozialen Architektur. Mehr dazu finden Sie hier.