Organisationen in denen Wenige über Viele entscheiden haben einen Wettbewerbs-nachteil: Sie sind langsamer, treffen schlechtere Entscheidungen und es fällt ihnen schwerer, aus Fehlern zu lernen. Von den Beschäftigten wird unternehmerisches Denken zwar häufig verlangt, gleichzeitig jedoch durch die Unternehmensstruktur systematisch verhindert. Wer seinen Angestellten dagegen zutraut, in ihren Bereichen die besseren Entscheidungen zu treffen, hat in diesem Spiel klar die Nase vorn. 

 

Sind Sie in Ihrer Firma schon mal auf ein Problem gestoßen? Oder hatten Sie schon mal Ideen, wie man etwas noch besser machen könnte? Vielleicht hat sie ein träger Prozess ausgebremst, und sie wussten, wie es einfacher ginge. Oder Sie waren der Überzeugung, dass ein anderes Produkt-Portfolio bei Ihren Kunden auf gute Resonanz stoßen würde. Möglicherweise suchten Sie aber auch nur zu einem Thema vergeblich nach Unterstützung in Ihrem Unternehmen, und keiner fühlte sich verantwortlich.

Wahrscheinlich könnten Sie diese Liste endlos fortführen. Unser Job-Alltag ist voll von solchen Spannungsfeldern zwischen „Ist“ und „Könnte Sein“, jedes davon eine potenzielle Chance, die Organisation ein kleines Stück besser zu machen.

 

Warum ändert sich dann so wenig?

Wie oft gelang es Ihnen jedoch, wirklich etwas zu bewegen? Wenn Ihre Antwort „Eher selten“ lautet, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Vielleicht hier und da mal ein paar kleine Sachen, aber das war es dann auch. Was für eine Verschwendung von Ressourcen. Da verfügen wir Menschen über die angeborene Fähigkeit, Unstimmigkeiten zu erkennen, und das natürliche Bedürfnis, diese auch zu lösen. Und ausgerechnet Organisationen verzichten auf diese „eingebaute“ Selbstoptimierung? Noch abstruser: Die meisten Geschäftsführer wünschen sich nichts mehr, als ein eigenverantwortliches und unternehmerisches Handeln ihrer Angestellten. Alle wollen es also, aber keiner macht es. Wie kann das sein?

 

Hierarchische Entscheidungsprozesse bremsen das Unternehmen aus

Stellen Sie dafür sich ein Unternehmen mit 100 Beschäftigten vor. Es gibt einen Geschäftsführer und neun Führungskräfte, auf die die restliche Belegschaft aufgeteilt ist. Ihnen kommt eine gute Idee, wie Sie und damit Ihr Unternehmen besser arbeiten könnten. Was tun Sie? Bei den meisten Unternehmen läuft das ungefähr so:

Wenn Sie sich nicht 100%-ig sicher sind, ob Sie das allein entscheiden können, führt der erste Weg meist zur Führungskraft. Diese aber hat noch weitere neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen sie auch Ideen zur Entscheidung vorgelegt bekommt. Natürlich ist sie nicht so nah an dem Thema dran wie Sie. Daher fehlt es ihr an Entscheidungskriterien – eine Einschränkung, deren Auswirkung man für gewöhnlich mit Gesprächen (neu-deutsch: Briefings), Präsentationen, Entscheidungsvorlagen oder ähnlichem zu begrenzen versucht. Eine Führungskraft muss sich also von seinen insgesamt zehn Untergebenen über Optimierungsideen aufklären lassen, um Entscheidungen zu treffen, deren Hintergründe den Ideengebern viel vertrauter sind, als ihr selbst.

Sie und ihre Kollegen haben aber nicht nur eine Idee im Jahr, sondern vielleicht zwei in der Woche; macht zwanzig Entscheidungen pro Woche. Und wenn Sie dann noch in einem Unternehmen arbeiten, in denen sich die Geschäftsführung die allermeisten Entscheidungen vorbehält, potenziert sich bei acht weiteren Führungskräften spätestens dort das Problem.

Wundert es sie da noch, dass Ihre Ideen keine Resonanz finden? Für Unternehmen, die so strukturiert sind, gibt es gar keine andere Möglichkeit, als sich auf oberer Ebene abzuschirmen und sich auf eine kleine Anzahl sogenannter wichtiger Themen zu reduzieren. Welche Themen das sind, obliegt der Einschätzung weniger, manchmal nur einer einzigen Person. Je komplexer dabei das Umfeld, desto größer und häufiger die Fehleinschätzungen; zweihundert Augen sehen einfach mehr als zwei. Ein erfahrener Pilot würde niemals freiwillig auf die Daten von Höhenmesser, Geschwindigkeitsanzeige, Radar etc. verzichten. Organisationen dagegen verzichten unangenehm häufig auf die „Daten“ all ihrer „Wahrnehmungsinstrumente“, nämlich auf die von den dort arbeitenden Menschen bemerkten Spannungsfelder.

 

Wie wir lernen, uns nicht mehr einzubringen

Es kommt aber noch schlimmer. Irgendwann hören Sie nämlich auf, etwas ändern zu wollen, oder sogar Spannungsfelder überhaupt wahrzunehmen. Und das aus gutem Grund. Wenn wir Menschen eine Differenz zwischen „Ist“ und „Könnte sein“ erleben, liegt es in unserer Natur, diese Differenz ausgleichen zu wollen. So funktioniert Evolution. Die Kehrseite der Medaille: Wir halten es nur schwer aus, diese Spannung nicht lösen zu können. Wenn uns also aus den oben beschriebenen organisatorischen Gründen die Hände gebunden sind, frustriert uns das zunächst, bevor wir dann resignieren und unser Ziel aufgeben. Machen wir diese Erfahrung mehrfach (in der Regel genügt drei mal) lernen wir, dass unsere Veränderungsbestrebungen erfolglos bleiben. Um uns vor den unangenehmen Gefühlen Frustration und Resignation zu schützen, beginnen wir dann, den natürlichem Impuls, die Welt um uns herum besser machen zu wollen, zu unterdrücken. Und je besser uns das gelingt, desto weniger fallen uns diese Optimierungsmöglichkeiten überhaupt noch auf. Wir haben gelernt, nicht mehr hinzuschauen, ganz ohne bösen Willen. Ein Musterbeispiel für lernende Organisationen, nur leider im negativen Sinne.

 

Neues Denken – Neue Wege

Genug des Lamentierens, denn es geht nämlich auch anders. Allerdings bedarf es dafür der Korrektur des noch aus der industriellen Revolution stammenden Paradigmas, dass es in einem Unternehmen einerseits „Denkende“ (Manager) und andererseits „Ausführende“ (alle anderen) gibt. Henry Ford fragte einmal ironisch:

„Warum hängt jedes Mal, wenn ich ein paar Hände brauche, noch ein Gehirn mit dran?“

Wir sagen heute: Wir bekommen Hände, Gehirn und Seele zum gleichen Preis wie Ford damals nur die Hände. Übersetzt: Ich halte Menschen für so kompetent und verantwortungsbewusst, dass sie in ihrem Arbeitsbereich gute Entscheidungen treffen wollen und können. Allein. Eigenverantwortlich. Wenn man sie lässt.

Ich habe mit Menschen gearbeitet, die für Kundenumsätze im hohen zweistelligen Millionenbereich verantwortlich waren, sich aber eine Erlaubnis einholen mussten, wenn Sie sich ein iPad bestellen, öfter von zu Hause arbeiten oder für einen Kundentermin das Flugzeug nehmen wollten. Da passt irgendetwas nicht zusammen.

Wenn wir also von verantwortlich denkenden Menschen im Unternehmen ausgehen, drängt sich folgende Leitlinie im Umgang mit Spannungsfeldern geradezu auf:

Jeder hat in seinem Arbeitsbereich sowohl die Pflicht, als auch alle Freiheiten, seine Rolle mit Leben zu füllen. Dazu gehört im Besonderen das eigenverantwortliche Lösen von Problemen oder Realisieren von Verbesserungen.

Wenn es aus Sicht der o.a. Kundenverantwortlichen also geschäftlich sinnvoll wäre, von zu Hause zu arbeiten, so könnten sie das alleinverantwortlich entscheiden. Allein dieses Vertrauen in die Fähigkeit der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vernünftige Entscheidungen zu treffen, nimmt erfahrungsgemäß eine Menge Last aus der Organisation und führt zu schnellen und unbürokratischen Optimierungen.

Sehr oft haben wir es jedoch mit Anliegen zu tun, die wir nur gemeinsam lösen können. Diese Spannungsfelder können ganz unterschiedlicher Natur sein. Vielleicht benötigen Sie auf der operativen Ebene die Hilfe aus dem Produktmanagement, für ein neues Produktdesign. Oder Sie würden gern auf der strukturellen Ebene etwas ändern, z.B. klären, wer nach der Vertragsunterschrift für welche Kundenbelange verantwortlich ist. Vielleicht sind Sie aber auch der Überzeugung, dass es – entgegen der aktuellen Strategie – im Moment erfolgsversprechender wäre, sich auf Neu- anstatt auf Bestandskunden auszurichten.

Für all diese Spannungsfelder gibt es verschiedener Foren, in denen Sie adressiert werden können und sollen (Operative Meetings, Steuerungsmeetings, Strategiemeetings). Jeweils mit dem Ziel, einen nächsten Schritt zu bestimmen und umzusetzen. Geht dieser in die richtige Richtung: Wunderbar. Ist noch etwas zu verbessern, führt das wieder zu einem Spannungsfeld, für dessen Lösung wiederum ein nächster Schritt bestimmt wird usw. So optimiert sich die Organisation von selbst; anhand von Erfolgen und Misserfolgen. Die wahrgenommenen Spannungsfelder sind der Motor dieser kontinuierlichen Verbesserung in der wirklich keine der wertvollen Verbesserungsideen unadressiert bleibt.

Damit dies möglich ist, müssen Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen transparent über das ganze Unternehmen verteilt sein. Denn die allermeisten Spannungsfelder betreffen das unmittelbare Arbeitsumfeld und sollten dort auch gelöst werden. Die Organisations-Struktur sollte, in funktionale Kreise gegliedert, diese Selbstorganisation fördern. Darüber hinaus sollten Kommunikations-Kanäle zwischen den Kreisen etabliert werden, damit Anliegen, die nicht im eignen Kreis verarbeitet, auf umfassenderen Ebenen adressiert werden können. Wie Holacracy diese Anforderungen umsetzt finden Sie hier.