Angenommen, Ihr Unternehmen existierte noch nicht – Warum müsste es gegründet werden?

Die Ausrichtung auf einen Daseinszweck ist nicht alles, aber ohne Zweck ist alles nichts. Zweck begründet die Existenz eines Unternehmens, ist sein zentrales Orientierungskriterium und macht es einzigartig in der Welt. Zweckorientierte Unternehmen sind dabei ihren rein auf Profit ausgerichteten Marktbegleitern in nahezu allen geschäftlichen Belangen überlegen. Warum das so ist, finden Sie in diesem Abschnitt.

Haben Sie Kinder? Wenn ja, würden Sie sagen, dass ihre Erziehung immer nur ein reines Vergnügen war? Wahrscheinlich nicht. Jeder erinnert sich an unzählige Beispiele für Ängste, durchwachte Nächte, Ärger, Enttäuschung usw. Trotzdem bezeichnen die allermeisten Eltern die Erziehung ihrer Kinder als das Erfüllendste, was sie je in ihrem Leben getan haben.

Wie kann das sein? Nun, sie taten etwas zutiefst Sinnvolles. Sie übernahmen diese Verantwortung ja nicht in Erwartung eines persönlichen Wellnessprogramms, sondern sie verfolgten wahrscheinlich von Beginn den höheren Zweck, Ihr Kind dabei zu begleiten, ein mündiger Erwachsener zu werden. Um dieser sinnvollen Aufgabe willen waren Sie bereit, Verzichte in Kauf zu nehmen und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Und sehr wahrscheinlich wurden sie dafür tausendfach belohnt.

Viktor Frankl, österreichischer Psychiater und Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, beschäftigte sich sein ganzes Leben mit dem Thema Sinn. (Anmerkung: In Abwandlung zu Frankl benutze ich hier die Begriffe „Sinn“ und „Zweck“ synonym). Er konnte zeigen, dass das Streben nach Sinn Symptomen wie Unzufriedenheit, Stress und Burnout nicht nur wirksam vorbeugt, sondern sogar zu einer tieferen und nachhaltigeren Lebenszufriedenheit führt, als jede körperliche oder psychische Bedürfnisbefriedigung.

Von solchen erfüllenden Gefühlen berichten oft auch Menschen, die karitativ arbeiten, sich bei NGOs engagieren oder im Rentenalter der guten Sache widmen. Nicht selten sprühen Sie nur so vor Energie.

Was aber bedeutet das für Unternehmen? Geht das nur im Non-Profit Bereich oder können wir diese aus einem Daseinszweck resultierende Energie auch für Organisationen nutzen? Dass wir das nicht nur können, sonder auch sollten, dafür möchte ich im Folgenden gerne werben.

 

Profit ist ein Mittel, kein Zweck

Zuerst möchte ich dafür auf die wahrscheinlich tragischste Fehlentwicklung in unserem marktwirtschaftlichen System hinweisen: Die Verwechselung von Zweck und Mittel. Ein Beispiel: Der Mensch braucht Nahrung um zu leben. Dennoch wäre es ein wenig merkwürdig zu sagen, dass sich unser Dasein in der Nahrungsaufnahme erschöpft. Menschen, bei denen das der Fall ist, bezeichnet man gemeinhin als süchtig. Ähnlich ist es in der Wirtschaft. Profit ist sowohl eine notwendige Voraussetzung, den Unternehmenszweck erfüllen zu können, als auch ein Maßstab für seine Güte. Er ist nicht der Zweck selbst. Diese Logik folgend sind weder Umsatzziele, noch Wachstum oder das Anstreben der Marktführerschaft sinnvolle Unternehmenszwecke. Sie sind allenfalls gute Mittel.

Zweck erkennt man daran, dass er einen realen Nutzen bringt, der über die Organisation hinaus geht: Was würde der Welt fehlen, wenn es Ihr Unternehmen nicht gäbe? Wofür müsste es gegründet werden? Was können Sie der Welt geben, wie kein anderer es kann? Was ist einfach zu wichtig, um aufzugeben, auch wenn es mal ganz hart kommt? Sie merken, wenn Sie darauf eine Antwort finden, resultiert daraus geradezu eine positive Verpflichtung, diesen Zweck in die Welt zu bringen. Vor diesem Hintergrund macht dann auch Profit und Wachstum wieder Sinn; denn je mehr von beidem, desto besser und für mehr Menschen können Sie Ihren Nutzen erbringen. Marktwirtschaftliche Prinzipien gelten also weiterhin, sie werden lediglich in einen größeren Sinnzusammenhang gestellt. Auf den Punkt gebracht

Wir erbringen nicht einen Nutzen, um Geld zu verdienen, 
sondern wir verdienen Geld, um einen Nutzen erbringen zu können.

Zweck lässt sich übrigens fast überall finden, auch dort, wo man ihn nicht vermutet. Ein Reinigungsunternehmen fand z.B. seinen Zweck darin, die Schönheit der Dinge wieder herzustellen. Vielleicht können Sie es nachempfinden: Es ist eine völlig andere Sache, ob sie für € 8,50 die Stunde Fußboden schrubben, Türklinken wienern oder Mülleimer ausleeren, oder ob Sie mit Ihrer Arbeit die Umwelt wieder ein kleines Stück schöner machen. Natürlich funktioniert das nur, wenn Sie das wirklich so empfinden. Bei diesem Unternehmen und seinen Angestellten war das der Fall.

 

Zweckausrichtung als Erfolgskriterium

Ist das zwar alles ganz nett, aber am Ende des Tages nur pure Sozialromantik? Mit Nichten. Nahezu alle Unternehmen, die diesem und den weiteren hier vorgestellten Paradigmen folgen, agieren in Ihren Branchen hochprofitabel, mit überproportionalen Wachstumsraten. Unternehmen wie Patagonia, dm-drogeriemarkt, Heiligenfeldkliniken, und Gore sind lebende Beispiele dafür, dass sich Zweckausrichtung und Marktwirtschaft außerordentlich gut befruchten.

Es gibt viele gute Gründe dafür, warum das so ist. Fünf davon finden Sie hier:

Zweck fokussiert
Der Unternehmenszweck kommt in der Strategie zum Ausdruck und findet sich in herunter gebrochener Form in jeder Rolle, Verantwortlichkeit und Aktion wieder. Alles im Unternehmen ist auf ihn ausgerichtet. In schwierigen Entscheidungssituationen bietet er Orientierung für die richtige Entscheidung.

Zweck macht sichtbar – für Kunden und Mitarbeiter/innen
Vergleichen Sie einmal folgende Statements:

  • Wir entwickeln maßgeschneiderte Lösungen für unsere Kunden und wollen doppelt so stark wachsen wie der Markt.
  • Ideas worth spreading (Wertvolle Ideen verbreiten)

Das erste Statement findet sich in ähnlicher Form auf unzähligen Websites von Dienstleistungs-Unternehmen. Das zweite gehört zu TED, derjenigen Plattform, auf der Fachleute unterschiedlichster Richtung ihre Ideen austauschen und die besten Vorträge kostenlos ins Netz stellen. Was bleibt Ihnen eher in Erinnerung? Was gibt Ihnen mehr Orientierung? Wo würden sie spontan lieber arbeiten?

Zweck motiviert
Wir wissen aus der Motivationsforschung, dass es positiver Emotionen bedarf, um Handlung und Engagement auszulösen (vergleiche PSI Theorie, Julius Kuhl). Wie bei der oben beschriebenen Kindeserziehung bildet das tiefe Wissen, sich für etwas „Richtiges“ einzusetzen, dafür eine unerschöpfliche Quelle. Das gilt verstärkt, wenn man es gemeinsam mit anderen tut. Menschen sind dann zu außerordentlichen Leistungen fähig, und können auch Rückschläge verkraften. Paradoxerweise sind sie dabei seelisch gesünder.

Zweck identifiziert
Während es noch vor wenigen Jahrzehnten üblich war, sich über sein Unternehmen zu identifizieren (ich bin SIEMENS-ianer, IBM-er, BAHN-er etc.), gibt das der heutige Zeitgeist nicht mehr her. Menschen streben heute wie nie zuvor nach Sinn und identifizieren sich mit einem Zweck. Die Organisation ist das Vehikel, in dem dieser realisiert werden kann.

Zweck integriert
Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischen zusehends. Ein Trend, der sich m.E. auch nicht durch Zwangsabschaltung von Smartphones nach Feierabend etc. stoppen lässt. Eine Integration beider Bereiche gelingt wesentlich einfacher, wenn die Arbeit als Ausdruck des eigenen Selbst empfunden wird. Nicht umsonst engagieren sich in Deutschland etwa 15 Millionen Menschen regelmäßig in ihrer Freizeit.

 

Wie geht’s weiter?

„Die Ausrichtung auf einen Daseinszweck ist nicht alles, aber ohne Zweck ist alles nichts.“
So begann dieser Abschnitt. Was bedarf es also noch?

Besonders gut entfalten kann sich ein Zweck in einem Umfeld von Eigenverantwortung, Transparenz und über das gesamte Unternehmen verteilter Leadership. Wie sie ein solches selbstorganisierendes Umfeld schaffen, finden Sie hier.

Zum Thema „Integration von Arbeit und Privatleben“ bedarf es neben der Zweckausrichtung noch weiterer Voraussetzungen. Informationen dazu hier.