Das Wichtigste sind die Menschen? Dann nutzen Sie doch einfach ihr gesamtes Potenzial…

Unternehmen mit voll identifizierten Mitarbeitern und einer gesunden Kultur sind ihren Wettbewerbern haushoch überlegen. Solche „inneren“ Eigenschaften lassen sich aber nicht verordnen. Unternehmen die einen Unterschied machen, wecken dieses Potenzial, indem sie Prozesse, Strukturen und Regelungen schaffen, in denen sie von selbst entstehen. Mit manchmal unorthodox anmutenden Methoden sind sie dabei außerordentlich erfolgreich.

 

Wenn Sie heute die Manager- und Businesszeitschriften aufschlagen, sagt man Ihnen ganz genau worauf es zukünftig für Unternehmen ankäme: Ganz oben auf der Bullshit-Bingo-Liste die Dauerthemen Motivation und Teamorientierung. Seit Jahren auf dem Vormarsch aber auch der Wunsch nach unternehmerischem Denken, der Übernahme von Verantwortung und weitestgehender Selbstorganisation. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen loyal sein, sich mit all ihren kreativen Potenzialen für die Firma einbringen und wertschätzend miteinander umgehen. Das ganze natürlich eingebettet in eine Kultur von Innovation, Fairness sowie dem Streben nach Spitzenleistung. Klingt Ihnen vertraut?

 

Wenn sich Außen und Innen widersprechen

Wenngleich man es manchmal auch nicht mehr hören kann, ist die dahinter stehende Grundidee durchaus richtig. Die Wirtschaft hat schon vor langer Zeit erkannt, dass der arbeitende Mensch mehr ist, als ein Zahnrad in einer Maschine, das nach Managementvorgaben stur seine Arbeit verrichtet. Seine volle Wertschöpfung für das Unternehmen entfaltet er erst, wenn er nicht nur seine – äußere – Arbeitskraft, sondern auch seine – inneren – Ressourcen (Motivation, Kreativität, Verantwortlichkeit etc.) mit in die Wagschale wirft. Das gilt nicht nur für die individuelle, sondern auch für die kollektive Ebene; gemeinhin als die Kultur eines Unternehmens bezeichnet. Soll heißen Prozesse, Strukturen und Regelungen (außen) sind das eine, eine leistungsorientierte, wertschätzende und innovative Kultur (innen) aber etwas ganz anderes. „Innen“ bedeutet dabei nämlich, dass wir es im Gegensatz zu „Außen“ nicht unmittelbar beeinflussen können. Wir können einen Arbeitsplan, eine Stellenbeschreibung oder einen Prozess jederzeit ändern; eine innere Haltung von Motivation oder eine Kultur von gegenseitiger Hilfsbereitschaft lässt sich jedoch nicht per Dekret verordnen; erst recht nicht, wenn Unternehmensrealitäten dagegen sprechen. Drei Beispiele aus der Praxis:

  • Ein Verkaufsteam sollte bei seinen Kunden einen teamorientierten Angang pflegen. „Hauptsache, unser Unternehmen gewinnt den Kunden“ sollte die Devise lauten. Die Vergütungsregelung (außen) konterkarierte diese eigentlich gute Idee dadurch, dass sie nur individuelle Provisionen vorsah.
  • In einem Vertriebs-Unternehmen war offiziell jeder aufgefordert, Kritik zu üben. Nur so könne das Unternehmen besser werden. Geschah dies jedoch, wurden die konstruktiv Kritisierenden mit der Aussage abgespeist, sie könnten sich ja einen anderen Job suchen, wenn es ihnen hier nicht gefiele. Jede Motivation, etwas zu verbessern (innen) wurde so im Keim erstickt. Stattdessen stellte sich eine Kultur von Angst und Uniformität ein.
  • Ein mittelständisches IT Unternehmen strebte eine Kultur von gegenseitiger unbürokratischer Hilfe an, um den Kunden bestmöglich zufrieden zu stellen. Unglücklicherweise bürokratisierte es gleichzeitig die Prozesslandschaft. Dort, wo früher einfach miteinander gesprochen wurde, mussten jetzt offizielle Mail-Eingangstore beachtet werden und alle Vorgänge in einem CRM System erfasst werden. Das Ergebnis war fortschreitende Entfremdung statt gegenseitiger Hilfe und sinkende statt höhere Kundenzufriedenheit.

Das Innen von außen verändern

Wie aber können wir gewünschte innere Veränderungen hervorrufen? Nun, was in den drei oben genannten Beispielen auf negative Art und Weise geschah, können wir im positiven Sinne für uns nutzen:

Wenn wir einen schönen Rosenstock züchten möchte, werden wir ihn nicht in der Wüste anpflanzen, auf das Gießen verzichten und auf ihn einreden oder an den Blättern ziehen, damit er wächst. Stattdessen wählen wir den bestmöglichen Boden und lassen ihm das nötige Maß an Wasser und Sonne zukommen. Dann wächst er von ganz allein; ganz einfach, weil es seine Natur ist.

Übersetzt: Innere Haltungen oder Kulturen lassen sich nicht von außen aufzwingen, wir können aber äußere Kontexte schaffen, in denen sie sehr wahrscheinlich von selbst entstehen. Wie das funktionieren kann, soll hier an einigen Beispielen illustriert werden.

Unternehmerisches Denken und Selbstverantwortung
Um (selbst)verantwortlich agieren zu können, muss zunächst einmal klar sein, welches die eigenen Verantwortlichkeiten sind, und wo diese enden. In diesem Rahmen sollte volle Entscheidungsfreiheit herrschen. Für die Organisation der Arbeit und die fortwährende selbstorganisierte Anpassung von Verantwortlichkeiten sollten Steuerungsprozesses installiert sein. Mehr dazu unter Selbstoptimierung und Selbst organisiert. Disziplinarisches Management ist eher kontraproduktiv, da es Selbstverantwortung in der Regel unterbindet. Das Unternehmen sollte einem für alle transparenten Zweck folgen, der bei Entscheidungen als Orientierung dient. Mehr dazu hier.

Räume für Begegnung, Reflexion und Rückzug
In unseren von universeller Erreichbarkeit geprägten Arbeitskontexten ist es geradezu unmöglich, inne zu halten und sein Tun zu reflektieren. Dabei wäre gerade das so oft bitter nötig, damit wir nicht vor lauter Sägen vergessen, die Säge wieder zu schärfen. Glücklicherweise verfügen nicht wenige Organisationen inzwischen über Ruhe- und/ oder Begegnungsräume, in denen allein oder gemeinsam kleine und große Innovationen geboren werden. Einige Unternehmen führen sogar wöchentliche moderierte Großgruppenveranstaltungen zu einem aktuellen Thema durch (z.B. dem konstruktiven Umgang mit Fehlern). Eine nicht unerhebliche Investition, die sich jedoch in Form von Motivation, Kreativität sowie einer von Vertrauen und Wertschätzung geprägten Kultur nachweislich um ein Vielfaches auszahlt.

Umgang mit Konflikten
Nicht selten werden Konflikte einfach ignoriert. Eine große Gefahr, denn kaum etwas vernichtet Produktivität so schnell und so nachhaltig , wie ein eskalierender Konflikt. In den meisten Unternehmen von denen hier die Rede ist existiert daher ein mehrstufiger Konfliktlösungsprozess. In der Regel beginnt er mit einer Aussprache der Beteiligten. Reicht das nicht aus, vermittelt ein Teammitglied und im nächsten Schritt das gesamte Team. Erst wenn das nicht fruchtet (was selten der Fall ist) greift man auf externe Hilfe zurück. Die Idee dabei: Konflikte zu vermeiden, macht keinen Sinn; sie werden immer auftauchen, wo Menschen zusammenarbeiten. Gut gerahmt werden sie jedoch äußerst produktiv. Die Integration mehrerer Perspektiven führt immer zu etwas besserem, als nur eine Sichtweise.

Verzicht auf Jobtitel
Ein Unternehmen, das einen Unterschied macht, existiert, um seinen Daseinszweck zu erfüllen, nicht um die Statusbedürfnisse seiner Beschäftigten zu befriedigen. Hierarchie und Entscheidungskompetenz liegen in modernen Unternehmen in den Rollen. Den Menschen, die diese Rollen gerade ausfüllen, ist sie daher im wahrsten Sinne des Wortes nur verliehen. Daraus Status abzuleiten, wäre geradezu abstrus. Vermeiden Sie daher prunkvolle Titel wie Leiter…, Senior… oder CxO. Geben Sie stattdessen den Rollen funktionale Namen. Da Sie in der Regel sowieso mehrere Rollen ausfüllen ist das eine wesentlich einfachere Vorgehensweise und ein wichtiger Beitrag zu einem Klima von Augenhöhe.

Flexible Arbeitszeiten und -orte
Die Integration der verschiedenen Lebenskontexte des Menschen (Arbeit, Familie, Soziales Umfeld etc.) ist mit Sicherheit eines der herausforderndsten aber auch lohnendsten Unterfangen unserer Zeit. Morning Star, ein weltweit führender Tomatenmarkhersteller, fährt bei dem so wichtigen Thema Arbeitszeit einen sehr einfachen Ansatz: Jeder trifft eine bewusste Wahl, mit wie viel Stunden er/ sie sich einbringen möchte. Möchte jemand später mehr oder weniger arbeiten, so klären das die sich selbst steuernden Teams unter sich. Dabei gilt: So lange keine Klärung herbeigeführt wird, gilt das alte Commitment.

Haben Menschen klare Verantwortlichkeiten, spielt es (abgesehen von betrieblichen Notwendigkeiten) auch eine untergeordnetet Rolle, wann und wo diese verrichtet werden. Yvon Chuinard, Gründer des extrem erfolgreichen Outdoor-Kleidung Herstellers Patagonia, bringt dieses Selbstverständnis in seinem Buch „Lass die Mitarbeiter surfen gehen“ auf den Punkt. Arbeit und Privatleben müssen nicht balanciert werden, sie integrieren sich ineinander, so dass beide voneinander profitieren.

Das sind nur fünf kurze Beispiele, die einen Eindruck vermitteln sollen, wie Strukturen, Prozesse und Regelungen zu einem ganzheitlichen Verständnis des Unternehmens beitragen können. Sie lassen sich beliebig ergänzen, bis in alle Bereiche des Unternehmens.

  • Ein von den zukünftigen Kollegen durchgeführter Einstellungs- und Einarbeitungsprozess, um frühzeitig festzustellen ob- und wie man zu einander passt.
  • Ein ebensolcher Kündigungsprozess, damit man auch aufrecht auseinander gehen kann
  • Gesundheitsprogramme und Coachings für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch für private Themen. Ein Mensch mit privaten Sorgen kann sich auch nicht mit voller Kraft für das Unternehmen einbringen
  • Jahresgespräche auf die zukünftige persönliche und berufliche Entwicklung ausgerichtet
  • Meetingpraktiken die Ego-Shows unterbinden und sicher stellen, dass alle Stimmen gehört werden und zu schnellen Entscheidungen führen

Keines dieser Programme würde in einer streng pyramidenartig aufgebauten Organisation angemessen funktionieren. Man könnte sie als Apps bezeichnen, die eines organisationalen Betriebssystems von Selbststeuerung und Zweckorientierung bedürfen. Mehr über ein solches Betriebssystem mit Namen Holacracy® finden Sie hier.